Anastasiya Nesterova

Am und im Wasser

Zu den maritimen Landschaften von ­Anastasiya Nesterova

von Vanessa Charlotte Heitland, Kunsthistorikerin

Container­riesen, die am Horizont vorbei­ziehen. Fischer­boote vertäut im Hafen. Zur Leitung der Schiffe an Land aufge­stellte und im Wasser schwimmende See­zeichen wie Baken, Tonnen und Leucht­feuer. Zum Schutz errichtete Buhnen, an denen sich die Wellen brechen. Dem Meer abge­rungene Polder­wiesen. Bestellte Felder in den Weiten des Marsch­landes.

Es sind die unter­schied­lichsten Aus­formungen maritimer Land­schaften, denen der Betrachter in Anastasiya Nesterovas aktuellen Arbeiten – in auf­wendigen Farb­holzschnitten und Ölge­mälden – begegnet. Von der Künst­lerin auf­gespürt während ihrer zahl­reichen Stipendien und Studien­reisen, die sie immer wieder und nicht zufällig an Orte führen, die durch ihre Lage am Meer oder an Flüssen geprägt sind. So etwa zuletzt nach Stade an der Elbe, Hanse­stadt am Rande der Kultur­land­schaft des Alten Landes. Oder nach Cuxhaven, größtes deutsches See­heilbad, zugleich wichtiger Fischerei­standort, bedeutender Tief­wasser­hafen und Um­schlag­platz. Gegenden, die als Tourismus- und Wirt­schafts­standorte in ihrem charak­teris­tischen Erscheinungs­bild Anastasiya Nesterovas Verständ­nis zeit­genös­sischer Land­schaften beispiel­haft ent­sprechen. Denn sie sind Bestand­teile jener gegen­wärtigen Umwelt, die das Ergebnis eines Prozesses ist, den der Mensch durch seine Eingriffe im Laufe der Zeit maß­geblich bestimmt hat. Und die gerade daher als Gegen­stände künst­lerischer Betrachtung für Anastasiya Nesterova so faszinierend erscheinen.

Denn die Dar­stellung der unbe­rührten, ursprüng­lichen Natur ist nicht das, was die Künst­lerin reizt. Viel­mehr sind es eben jene Land­schaften, die vom Menschen über Jahr­hunderte oder manchmal auch nur inner­halb kurzer Zeit­räume nach seinen Plänen geformt und geschaf­fen wurden. Die, wie im Fall von Stade und Cuxhaven, von seinen Ver­suchen zeugen, das Element Wasser zu kontrol­lieren und zu gestal­ten, es nutzbar zu machen und den eigenen Bedürf­nissen anzu­passen.

Um dies zu zeigen, bedarf es der Anwesen­heit mensch­licher Figuren im Bild nicht. Es genügt allein die Dokumen­tation des Gesehenen, die auch all jene Objekte, Gegen­stände und Bau­werke mit ein­schließt, die für gewöhn­lich nicht unbe­dingt als schön betrach­tet oder sogar als optisch störend empfunden werden. Dennoch sind sie untrenn­bar mit ihrer Umgebung ver­bunden. Sie sind ein Teil von ihr und bestim­men ihr Aus­sehen im wesent­lichen mit. In Anastasiya Nesterovas Bildern setzen sie daher nicht nur ent­schei­dende Akzente, sondern fügen sich auch wie selbst­ver­ständ­lich in die natür­lichen Gegeben­heiten ein und bilden mit ihnen ein harmoni­sches Ganzes.

Doch nicht allein darin liegt das Besondere der Land­schaften von Anastasiya Nesterova. Immer deut­licher ist in ihren Arbeiten auch eine kon­sequente Hin­wendung zur Abstraktion zu beob­achten, die vor allem im offen­sicht­lichen Inter­esse der Künst­lerin an Wahr­nehmungs­prozessen, dem Spiel mit Struk­turen sowie der Aus­einander­setzungen mit der Wirkung von Material liegt. Die Beschaffen­heit der ein­zel­nen Bild­elemente tritt fast gänz­lich in den Hinter­grund zugunsten einer aus­drück­lichen Redu­zierung aufs Wesent­liche, das Zusammen­spiel von Flächen und Formen sowie das Erzeugen von Stimmungen. Bewußt wählt Anastasiya Nesterova Aus­schnitte, unge­wohnte Per­spektiven und Formate, rückt etwa den Horizont oft weit an den Bild­rand heran. Zugleich gibt sie – durch die differen­zierte Bear­beitung des Druck­stocks ebenso wie durch Farb­auf­trag und Pinsel­duktus – dem Material inner­halb ihrer Bilder selbst den Raum zur Emanzi­pation und verleiht ihren Land­schaften gerade dadurch ihre außer­gewöhn­liche Inten­sität und Ästhetik.